WIEN. Mahmud Ahmadinedschad, die Hamas und der Abdruck
einiger Karikaturen in Dänemark beherrschen die Medien
und sorgen für Diskussionen, ritualisierte
Protestmärsche und Brandstiftungen. Die Reaktionen in
den westlichen Medien bilden einen Regenbogen, der mit
Verlegenheitserklärungen und Witzen beginnt und mit
Nachdenklichkeit und Entschuldigungen endet. Und überall
Fragen, die nicht zu beantworten sind.
Beginnen wir mit dem Sieg der Hamas bei den
palästinensischen Parlamentswahlen. Wer die Sieger im
Fernsehen sah, fragte sich, was sie eigentlich wollen.
Wieso schleudern sie Steine gegen die Fassade jenes
Parlamentsgebäudes, in dem sie bald sitzen wollen? Wozu
wollen sie ein Gebäude stürmen, das sie mit der
absoluten Mehrheit legal betreten können?
Das zweite Verständigungsproblem schafft Ahmadinedschad,
der neue Präsident der Islamischen Republik Iran, der
mit einer Reihe deplatzierter, schändlicher Aussagen
alle vertrauensbildenden Maßnahmen der ehemaligen
Regierung torpediert und sein Land in eine Situation der
Isolierung führt. Anstatt die Weltgemeinschaft zu
beruhigen, dass die Islamische Republik bei der Nutzung
der Atomenergie nur friedliche Zwecke verfolgt, will er
Israel von der Landkarte „wegradieren“ und leugnet den
Holocaust.
Das nächste Verständigungsproblem rührt von der
dänischen Zeitung Jyllands-Posten, die mit 12
Karikaturen über den Propheten Mohammed eine zusätzliche
Front in den Weltmissverständnissen eröffnete. Obschon
der Karikaturist, der den Propheten Mohammed mit einer
Bombe statt Turban am Kopf zeichnete, hätte wissen
müssen, dass er die religiösen Gefühle von mehr als
einer Milliarde Mohammedaner verletzt.
Soll all das ein Signal zum Beginn eines „Kampfes der
Kulturen“ sein, bei dem, wie kürzlich vom französischen
Präsidenten Jacques Chirac angedeutet wurde, auch die
Anwendung atomarer Waffen denkbar scheint?
Es gibt verantwortliche Köpfe und Witzbolde; es gibt
Kenner der Lage, die über die Folgen der Verletzung
religiöser Gefühle Bescheid wissen, und Funktionäre, die
sowohl hüben wie drüben an den Schaltstellen der Macht
sitzen und nur daran denken, wie sie sich aus dem
Desaster retten können. Es gibt wenige, die im Stande
sind, zwischen dem religiösen Antisemitismus und jetzt
modern gewordenen Witzen eine Parallele zu sehen. Warum
die islamische Welt unfähig ist, einen solchen
Zusammenhang herzustellen, hat mehrere Gründe. Unter
anderem ist es das Resultat einer fundamentalistischen
Denkweise, die die Welt in westliche und östliche
Religionen teilt.
Wir leben in einer geteilten Welt, in der dieselben
Probleme mit zwei verschiedenen Maßstäben behandelt
werden. Die Tragödie besteht darin, dass die Welt
beginnt, nur aus diesen zwei Ansichten zu bestehen. Die
rationale Politik wird zunehmend der Politik der
Emotionen das Feld räumen müssen. Eine zum Ritual
gewordene Massenverblödung findet auf beiden Seiten
statt, nur Methode und Mittel sind anders.
Die Hamas-Anhänger mit ihren grünen Stirnbändern
marschieren über die dänische Fahne, während die
gesteuerten syrischen Islamisten Dänemark, Schweden und
Norwegen nicht auseinander halten können. Und so zünden
sie die Botschaftsgebäude aller drei Länder an.
Ahmadinedschad geht noch rigoroser vor, er kündigt den
Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit allen
europäischen Staaten an, die den Nachdruck der
Karikaturen erlaubt haben.
Das Mutterland dieser um sich greifenden Hysterie ist
Iran, dort nahm die Politisierung des Islams mit
Ajatollah Ruhollah Khomeini ihren Anfang. Er hat vor 27
Jahren als Erster begonnen, die religiösen Gefühle der
Menschen für die Aufrechterhaltung seiner wackligen
Islamischen Republik zu missbrauchen. Dadurch, dass er
die Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger in
Teheran begrüßte, konnte er alle gemäßigten Politiker
auf einen Schlag von der Macht entfernen. Auch die
Provokationen im Irak, mit dem Vorhaben, die islamische
Revolution in den gesamten arabischen Raum zu
exportieren, erfolgte in dieser Absicht. Nach dem
Irak-Krieg war Khomeinis Islamische Republik etabliert.
Ahmadinedschad und seine Pasdaran (Wächter der
Revolution) verfolgen in einer hoffnungslosen Situation
das gleiche Ziel. Sie wissen, dass der islamische Staat
ohne permanente Krise nicht existieren kann. Die
klerikale Gruppe an der Spitze weiß genau, dass die
islamische Macht durch die ökonomische Potenz der
Globalisierung nicht mehr zu halten ist. Das
Katz-und-Maus-Spiel um die Atomenergie soll das Land in
die Zeiten zurückversetzen, in denen es, isoliert von
der Welt, mit eiserner Faust zu regieren war.
Die Sprüche Ahmadinedschads waren nur kleine Schritte
zur Isolierung des Landes. Zu diesem Zweck ist auch ein
Krieg, wie Khomeini einmal gesagt hat, ein willkommener
Segen. Um weiterhin die Kapitalinvestitionen und
überhaupt eine kapitalistische Entwicklung im Iran
wirksam zu verhindern, sieht der Klerus in diesem Land
keinen anderen Ausweg als eine ständige Krise und Krieg.
Die Tatsache, dass ein Großteil der islamischen Staaten
sich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich auf
der Skala des Fortschritts am unteren Rand befindet,
lässt die islamischen Machthaber im Iran hoffen, ihre
Vormachtstellung in dieser Region sei sicher.
Durch die unüberbrückbare Rückständigkeit befindet sich
die Elite der islamischen Staaten in einer tiefen
Depression. Ein plausibler Grund für die Frustration
dieser Elite ist ihre beharrliche Weigerung, die Ursache
für die gesellschaftliche Misere bei sich selbst zu
suchen. Viele von ihnen sind immer noch anfällig für die
Annahme irrationaler Erklärungen als Grund dieser
Rückständigkeit. Die Rechtfertigungstheorien für die
Rückständigkeit werden von ihnen nur dann akzeptiert,
wenn sie von einem selbstkritischen Blick auf die eigene
Verantwortung ablenken. Dies wird aber durch die rasante
Entwicklung in China und Indien nicht mehr lange möglich
sein. Man kann nicht ewig auf den größten Ölreserven der
Welt sitzen und behaupten, die Chancen zur Entwicklung
seien in der Welt schlecht verteilt.
Daher wird es nicht lange dauern, bis die Elite in der
islamischen Welt begreift, dass die Rückständigkeit
durch Korruption, Vetternwirtschaft und geistige
Trägheit zum Großteil hausgemacht ist. Sie kann sich
noch eine Weile von den alten Verschwörungstheorien
betäuben lassen und weiterhin mit dem Finger nach Westen
zeigen. Nach Ghaddafi und Saddam wird auch
Ahmadinedschad nach einer Periode lächerlicher
Selbstüberschätzung und krankhafter
Omnipotenzvorstellungen seine Anhänger langweilen. Nach
den Ritualen der Empörung kommt dann der Tag, an dem die
Masse der Arbeitslosen und Hungernden einsieht, dass sie
von diesen Führern nichts zu erwarten hat.
Nein, der „Kampf der Kulturen“ findet nicht statt. Dazu
sind einige Karikaturen aus Dänemark und die
Paukenschläge von Ahmadinedschad zu wenig. Das heißt
nicht, dass man die rassistischen Untertöne überhören
soll. Oft ist es manisch-depressiv anmutender Stolz, der
ein Emigrantenkind zum Anhänger eines hetzerischen Imams
oder Kalifen macht. Das ist aber Ausdruck einer
Verzweiflung, zwischen zwei Welten zu sein. Und dies
auch hier in Europa, wo die zweite und dritte
Einwanderergeneration immer noch kein
Zugehörigkeitsgefühl entwickelt hat.
*ZUR PERSON: Hamid Sadr - ein Schriftsteller im Exil
Hamid Sadr wurde 1946 in Teheran geboren. Seit 1968 lebt
er in Wien. Er studierte Chemie und
Politikwissenschaften und begann seine
schriftstellerische Laufbahn. Seit 1967 ist Sadr
Mitglied des verbotenen Schriftstellerverbandes des
Irans; seit 1980 Mitglied im Rat des „National Movement
of the Iranian Resistance“.
Seit 1995 hat Sadr die österreichische
Staatsbürgerschaft. 2005 erschien sein Roman „Der
Gedächtnissekretär“. Für das Buch erhielt er den Bruno-Kreisky-Preis
für das politische Buch des Renner-Instituts. Erst vor
ein paar Tagen erhielt er einen weiteren Literaturpreis:
das „Elias Canetti Stipendium der Stadt Wien“. |