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HANDELSBLATT, Mittwoch, 08. Februar 2006, 17:25 Uhr

 

Gastbeitrag

Kein Kampf der Kulturen

Von Hamid Sadr*

Der Karikaturenstreit, der Sieg der Hamas und die Äußerungen des neuen iranischen Präsidenten Ahmadineschad sind kein Zeichen für den Ausbruch des "Kampfes der Kulturen", sondern beweisen, dass rationale Politik zunehmend von einer Politik der Emotionen verdrängt wird. Die islamischen Machthaber im Iran schüren Aggressionen, um ihre Vormachtstellung in der Region zu schaffen.

WIEN. Mahmud Ahmadinedschad, die Hamas und der Abdruck einiger Karikaturen in Dänemark beherrschen die Medien und sorgen für Diskussionen, ritualisierte Protestmärsche und Brandstiftungen. Die Reaktionen in den westlichen Medien bilden einen Regenbogen, der mit Verlegenheitserklärungen und Witzen beginnt und mit Nachdenklichkeit und Entschuldigungen endet. Und überall Fragen, die nicht zu beantworten sind.

Beginnen wir mit dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen. Wer die Sieger im Fernsehen sah, fragte sich, was sie eigentlich wollen. Wieso schleudern sie Steine gegen die Fassade jenes Parlamentsgebäudes, in dem sie bald sitzen wollen? Wozu wollen sie ein Gebäude stürmen, das sie mit der absoluten Mehrheit legal betreten können?

Das zweite Verständigungsproblem schafft Ahmadinedschad, der neue Präsident der Islamischen Republik Iran, der mit einer Reihe deplatzierter, schändlicher Aussagen alle vertrauensbildenden Maßnahmen der ehemaligen Regierung torpediert und sein Land in eine Situation der Isolierung führt. Anstatt die Weltgemeinschaft zu beruhigen, dass die Islamische Republik bei der Nutzung der Atomenergie nur friedliche Zwecke verfolgt, will er Israel von der Landkarte „wegradieren“ und leugnet den Holocaust.

Das nächste Verständigungsproblem rührt von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten, die mit 12 Karikaturen über den Propheten Mohammed eine zusätzliche Front in den Weltmissverständnissen eröffnete. Obschon der Karikaturist, der den Propheten Mohammed mit einer Bombe statt Turban am Kopf zeichnete, hätte wissen müssen, dass er die religiösen Gefühle von mehr als einer Milliarde Mohammedaner verletzt.

Soll all das ein Signal zum Beginn eines „Kampfes der Kulturen“ sein, bei dem, wie kürzlich vom französischen Präsidenten Jacques Chirac angedeutet wurde, auch die Anwendung atomarer Waffen denkbar scheint?

Es gibt verantwortliche Köpfe und Witzbolde; es gibt Kenner der Lage, die über die Folgen der Verletzung religiöser Gefühle Bescheid wissen, und Funktionäre, die sowohl hüben wie drüben an den Schaltstellen der Macht sitzen und nur daran denken, wie sie sich aus dem Desaster retten können. Es gibt wenige, die im Stande sind, zwischen dem religiösen Antisemitismus und jetzt modern gewordenen Witzen eine Parallele zu sehen. Warum die islamische Welt unfähig ist, einen solchen Zusammenhang herzustellen, hat mehrere Gründe. Unter anderem ist es das Resultat einer fundamentalistischen Denkweise, die die Welt in westliche und östliche Religionen teilt.

Wir leben in einer geteilten Welt, in der dieselben Probleme mit zwei verschiedenen Maßstäben behandelt werden. Die Tragödie besteht darin, dass die Welt beginnt, nur aus diesen zwei Ansichten zu bestehen. Die rationale Politik wird zunehmend der Politik der Emotionen das Feld räumen müssen. Eine zum Ritual gewordene Massenverblödung findet auf beiden Seiten statt, nur Methode und Mittel sind anders.

Die Hamas-Anhänger mit ihren grünen Stirnbändern marschieren über die dänische Fahne, während die gesteuerten syrischen Islamisten Dänemark, Schweden und Norwegen nicht auseinander halten können. Und so zünden sie die Botschaftsgebäude aller drei Länder an. Ahmadinedschad geht noch rigoroser vor, er kündigt den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit allen europäischen Staaten an, die den Nachdruck der Karikaturen erlaubt haben.

Das Mutterland dieser um sich greifenden Hysterie ist Iran, dort nahm die Politisierung des Islams mit Ajatollah Ruhollah Khomeini ihren Anfang. Er hat vor 27 Jahren als Erster begonnen, die religiösen Gefühle der Menschen für die Aufrechterhaltung seiner wackligen Islamischen Republik zu missbrauchen. Dadurch, dass er die Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger in Teheran begrüßte, konnte er alle gemäßigten Politiker auf einen Schlag von der Macht entfernen. Auch die Provokationen im Irak, mit dem Vorhaben, die islamische Revolution in den gesamten arabischen Raum zu exportieren, erfolgte in dieser Absicht. Nach dem Irak-Krieg war Khomeinis Islamische Republik etabliert.

Ahmadinedschad und seine Pasdaran (Wächter der Revolution) verfolgen in einer hoffnungslosen Situation das gleiche Ziel. Sie wissen, dass der islamische Staat ohne permanente Krise nicht existieren kann. Die klerikale Gruppe an der Spitze weiß genau, dass die islamische Macht durch die ökonomische Potenz der Globalisierung nicht mehr zu halten ist. Das Katz-und-Maus-Spiel um die Atomenergie soll das Land in die Zeiten zurückversetzen, in denen es, isoliert von der Welt, mit eiserner Faust zu regieren war.

Die Sprüche Ahmadinedschads waren nur kleine Schritte zur Isolierung des Landes. Zu diesem Zweck ist auch ein Krieg, wie Khomeini einmal gesagt hat, ein willkommener Segen. Um weiterhin die Kapitalinvestitionen und überhaupt eine kapitalistische Entwicklung im Iran wirksam zu verhindern, sieht der Klerus in diesem Land keinen anderen Ausweg als eine ständige Krise und Krieg.

Die Tatsache, dass ein Großteil der islamischen Staaten sich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich auf der Skala des Fortschritts am unteren Rand befindet, lässt die islamischen Machthaber im Iran hoffen, ihre Vormachtstellung in dieser Region sei sicher.

Durch die unüberbrückbare Rückständigkeit befindet sich die Elite der islamischen Staaten in einer tiefen Depression. Ein plausibler Grund für die Frustration dieser Elite ist ihre beharrliche Weigerung, die Ursache für die gesellschaftliche Misere bei sich selbst zu suchen. Viele von ihnen sind immer noch anfällig für die Annahme irrationaler Erklärungen als Grund dieser Rückständigkeit. Die Rechtfertigungstheorien für die Rückständigkeit werden von ihnen nur dann akzeptiert, wenn sie von einem selbstkritischen Blick auf die eigene Verantwortung ablenken. Dies wird aber durch die rasante Entwicklung in China und Indien nicht mehr lange möglich sein. Man kann nicht ewig auf den größten Ölreserven der Welt sitzen und behaupten, die Chancen zur Entwicklung seien in der Welt schlecht verteilt.

Daher wird es nicht lange dauern, bis die Elite in der islamischen Welt begreift, dass die Rückständigkeit durch Korruption, Vetternwirtschaft und geistige Trägheit zum Großteil hausgemacht ist. Sie kann sich noch eine Weile von den alten Verschwörungstheorien betäuben lassen und weiterhin mit dem Finger nach Westen zeigen. Nach Ghaddafi und Saddam wird auch Ahmadinedschad nach einer Periode lächerlicher Selbstüberschätzung und krankhafter Omnipotenzvorstellungen seine Anhänger langweilen. Nach den Ritualen der Empörung kommt dann der Tag, an dem die Masse der Arbeitslosen und Hungernden einsieht, dass sie von diesen Führern nichts zu erwarten hat.

Nein, der „Kampf der Kulturen“ findet nicht statt. Dazu sind einige Karikaturen aus Dänemark und die Paukenschläge von Ahmadinedschad zu wenig. Das heißt nicht, dass man die rassistischen Untertöne überhören soll. Oft ist es manisch-depressiv anmutender Stolz, der ein Emigrantenkind zum Anhänger eines hetzerischen Imams oder Kalifen macht. Das ist aber Ausdruck einer Verzweiflung, zwischen zwei Welten zu sein. Und dies auch hier in Europa, wo die zweite und dritte Einwanderergeneration immer noch kein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt hat.

*ZUR PERSON: Hamid Sadr - ein Schriftsteller im Exil

Hamid Sadr wurde 1946 in Teheran geboren. Seit 1968 lebt er in Wien. Er studierte Chemie und Politikwissenschaften und begann seine schriftstellerische Laufbahn. Seit 1967 ist Sadr Mitglied des verbotenen Schriftstellerverbandes des Irans; seit 1980 Mitglied im Rat des „National Movement of the Iranian Resistance“.

Seit 1995 hat Sadr die österreichische Staatsbürgerschaft. 2005 erschien sein Roman „Der Gedächtnissekretär“. Für das Buch erhielt er den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch des Renner-Instituts. Erst vor ein paar Tagen erhielt er einen weiteren Literaturpreis: das „Elias Canetti Stipendium der Stadt Wien“.

 

 
 
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